Donnerstag, 1. Februar 2018

Charismatische (Ver-)Führer der Freiheitlichen Partei Österreichs

Ein Beitrag von Julia Kriegs

Sie sind die Gewinner des Abends: die Freiheitliche Partei Österreichs, kurz FPÖ, holt bei den Nationalratswahlen 2017 26,9 % und wird drittstärkste Kraft. An vorderster Front ihr Spitzenkandidat Heinz Christian Strache. Strache, der in seiner Jugend fester Bestandteil der Neonazi-Szene war und 2006 „Daham statt Islam“ skandierte, begeistert als charismatischer Leader das Volk in Österreich, zumindest 26,9 % davon.

Kritiker, die die Hoffnung hatten, dass die FPÖ und mit ihr der Rechtspopulismus in Österreich mit dem Tod Jörg Haiders in der Versenkung verschwinden würde (Vgl. Hillebrand, S.60, 2015), mussten sich eines Besseren belehren lassen. Doch was macht eine Person zu einem charismatischen Führer? Muss sich die Demokratie vor der vereinnahmenden Ausstrahlung in Acht nehmen?


Charisma, die Zauberformel der Überlegenheit

Haider und sein Nachfolger Strache besitzen etwas, was der Soziologe Max Weber als nicht lehrbar beschrieb (Vgl. Encke, 2014, S.45): Charisma. Die Autorin Julia Sobainsky beschreibt Charisma als eine „außergewöhnliche intensiv wirksame Ausstrahlung, die eine größere Anzahl anderer Menschen starke Gefühle empfinden lässt" (Sobainsky, 2011).

Diese intensiv wirksame Ausstrahlung kann man in fünf zentrale Komponenten differenzieren: Souveränität, Selbstbewusstsein, Rhetorik, Authentizität und Empathievermögen. Der Charismatiker vereint diese Komponenten, indem er souverän und selbstbewusst auftritt und damit Vertrauen gewinnt, gleichzeitig überzeugt er mit einer brillanten Rhetorik, die er durch eine aufrechte Körperhaltung und eine übereinstimmende Mimik und Gestik unterstützt. Auf der einen Seite beweist er Authentizität dadurch, dass er sich nicht verbiegen lässt und bei sich bleibt, auf der anderen Seite beweist er Empathievermögen, indem er sich in die Perspektive anderer Menschen hineinversetzen kann und ihren Sorgen Gehör schenkt.

Aufgrund dieser verschiedenen Komponenten ist der Begriff des Charismas in der heutigen Gesellschaft positiv konnotiert. Demjenigen, der es besitzt, wird eine Führungsrolle eher zugetraut, wie jemandem, der in der Menge untergeht. Wirtschaftspsychologen verkaufen im Gegensatz zu Weber Charisma als erlernbare Technik (Vgl. ebd.), die zum beruflichen Erfolg beiträgt.

Jedoch trifft Charisma als erstrebenswerte Eigenschaft auf ein Handlungsfeld nicht zu: auf die Politik (Vgl. ebd.). In der politischen Szene werden Charismatiker kritisch beäugt, da man sie oft mit Populisten oder Demagogen auf die gleiche Stufe stellt. Wenn man Jörg Haider oder Heinz Strache näher betrachtet, kann man zu dem Schluss kommen, dass diese Vermutung der Wahrheit entspricht. Denn auch Haider, wie Strache, taten fast alles, um an die Macht zu kommen.

Die Lehre vom Charisma geht auf die Begegnung zwischen dem Soziologen Max Weber und Stefan George, einem Dichter, im Jahr 1910 zurück (Vgl. Encke, 2014, S.42). Weber war von Georges Außergewöhnlichkeit beeindruckt, seinem Auftreten, das Begeisterung und sogleich Bewunderung bei seinen Anhängern auslöste. Auf Basis dieser Begegnung entwickelte Weber den Begriff der charismatischen Herrschaft, „eine Form der Herrschaft, die ganz auf der Gefolgschaft um ein Individuum beruht, das als außergewöhnlich wahrgenommen wird" (Encke, 2014, S.43).

Der Begriff des Charismas beinhaltet nach Weber demnach nicht nur eine besondere Ausstrahlung, sondern sie beinhaltet auch die Begeisterung der Anhänger, die in dem Charismatiker die Außeralltäglichkeit sehen und sehen wollen (Vgl. ebd.). Demnach besteht Charisma in einer Form der Zuschreibung.

Immer wenn Max Weber von der charismatischen Herrschaft sprach, tat er dies in einer Art und Weise der Begeisterung. Er war davon überzeugt, dass es von großer Bedeutung sei, „im politischen Kampf gestählte Führernaturen und nicht farblose Bürokraten an die Spitze gelangen zu lassen" (Encke, 2014, S.48).

Auch wenn es wissenschaftliche Praxis ist, muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, Max Webers Theorie auf die heutige Zeit anzuwenden. Oder anders gefragt, ob es überhaupt möglich ist. War es Max Weber bewusst, dass seine Theorie der charismatischen Herrschaft auch negative Folgen mit sich bringen kann?

Weber präferierte die Idee der Führerdemokratie. Der Führer verschafft sich mit Hilfe der Demagogie das Vertrauen der Wähler, soll dann aber autark und aus seinem eigenen Empfinden heraus handeln. Im Sinne Macchiavellis ist nur der Enderfolg von Bedeutung. Auch wenn Weber einen Adolf Hitler nie für möglich gehalten hat und es nie im Sinn hatte, den Parteienstaat in Frage zu stellen (Vgl. Mommsen, 2004, S. 414), gab er die „rationalistische Gleichheitsidee der Demokratie zugunsten der Lehre von den durch Charisma zur Führung Berufenen auf" (Encke, 2014, S.55). Weber ebnete mit seiner Idee der charismatischen Herrschaft den Weg für die Emotionalisierung der Politik. Er ebnete den Weg für populistische Leader, die sich als die einzigen wahren Vertreter des Volkes betrachten.

Jörg Haider, ein Mann aus dem Volk

Die FPÖ hat ihre Wurzeln in ihrem Vorgänger, dem Verband der Unabhängigen (VdU), der 1949 als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten (Vgl. Langebach, S.215, 2013) gegründet wurde. Aufgrund interner Streitereien ging 1955 die FPÖ als Drittes Lager Österreichs hervor (Vgl. ebd.) und bildete 1983 die FPÖ mit der SPÖ eine gemeinsame Regierung. Doch die FPÖ rutschte in den Umfragen immer weiter ab, was den Weg für Jörg Haider als Parteiobmann ebnete.

„Er ist der Einzige, der auf uns schaut und dafür kritisieren sie ihn dann auch noch“ (Petzner, S.129, 2015), hörte der ehemalige Generalsekretär Haiders, Stefan Petzner, eine Dame sagen, als Haider ihr den „Teuerungsausgleich“ in Form von 100 Euro überreichte. Auch wenn Haiders Kritiker das Geld abwertend als Fürstengabe (Vgl. ebd.) bezeichneten, hatte Haider ein Gespür dafür, die Sorgen der Menschen zu erkennen. Haider war der Überzeugung, dass Politiker immer den Fehler begehen würden, den Bürgerinnen und Bürgern nicht zuzuhören (Vgl. Petzner, S.86, 2015).

Haider war ein klassischer Populist: Er hörte sich die Ängste und Sorgen der Menschen an, verstärkte sie und verwendete sie zu seinen Gunsten. Haider ging es nicht darum, Probleme oder Konflikte zu lösen, sondern sie möglichst lange aufrechtzuerhalten, um sie für seine Zwecke zu nutzen (Vgl. Petzner, S.99, 2015). Ein Beispiel für Haiders Rechts- und Identitätspopulismus war das inszenierte Problem mit den zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten. Er verbreitete die Verschwörungstheorie einer slowenischen Unterwanderung, die mit den zweisprachigen Tafeln beginnen würde. Er erkannte, dass die Ortstafeln eine größere Bedeutung für die Menschen hatten, dass sie für Identität standen (Vgl. ebd.) und für die Befürchtung, diese verlieren zu können.

Auf Plakaten stand: Wollen Sie eine endgültige Lösung der Ortstafelfrage? Haider setzte gezielt Nazijargon ein, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ob Haider selbst rechtsextreme Einstellungen teilte, ist nicht zu klären. Jedoch handelt es sich bei Rechtspopulisten selten um Vertreter einer bestimmten Ideologie. Die Soziologin Karin Priester (siehe hier) beschreibt den Populismus als Chamäleon, der keine Substanz besitze. Diese These untermauert Jörg Haider mit der Aussage: „Wir sind nicht links oder rechts, wir sind vorne!“ (Petzner, S.140, 2015).

Jörg Haider fühlte sich selbst als auserkoren, wie er dem Tagesspiegel im Jahr 2000 erklärte. Er zeigte sich als Retter Österreichs, der sich vor sein Volk stellt und als Einziger über die Interessen und den Volkswillen Bescheid zu wissen glaubt. Dabei verkörperte er den typischen Anti-Politiker: Haider war ein Mann aus dem Volk für das Volk. Er inszenierte Feindbilder, um eine Wir-gegen-die-Politik verfolgen zu können. Zuerst waren es die Bonzen, später kamen die Ausländer als Teil seines Feindbilds dazu. Dabei war er sich bewusst, dass ein schmaler Grad zwischen Applaus und Ablehnung besteht (Vgl. Petzner, S.152, 2015).

Es soll die größtmögliche Aufmerksamkeit erreicht werden, jedoch ohne die Geschmacksgrenze zu übertreten (Vgl. ebd.). Wo diese Grenze verläuft, ist von Land zu Land unterschiedlich. Eine Besonderheit Österreichs macht die späte Vergangenheitsbewältigung aus, erst in den 90er-Jahren begann ein Aufarbeitungsprozess, der Österreich nicht als Opfer betrachtete. Das machte es Rechtspopulisten lange Zeit einfach, mit ihren rechten Parolen Anklang zu finden.

Jörg Haider suchte die Nähe zu den potentiellen Wählern, um ihnen glaubhaft zu machen, dass ihre Sorgen bei ihm Gehör finden würde und er sich für ihre Interessen unmittelbar einsetze. Es ist ein typischer Schachzug eines Rechtspopulisten, sich als Stimme des Volkes zu inszenieren. Dazu gehörte bei Haider auch, dass er eine rhetorisch einfache Sprache pflegte: „Die Leute müssen dich verstehen. Wenn du zu kompliziert sprichst, ist es egal, was du sagst, weil dich die Hälfte nicht versteht“ (Petzner, S.97, 2015).

Haider beinhaltete demnach alle fünf Komponenten, die einen Charismatiker ausmachen: Er trat souverän und selbstbewusst vor den Menschen auf, er glänzte durch eine zwar einfache, aber dadurch den Menschen leicht zugängliche Rhetorik, er wirkte authentisch und er hörte sich Sorgen und Ängste der Menschen an, um seine Empathie ihnen gegenüber zu verdeutlichen.

Straches Wende

Die Menschen müssen dich verstehen, das hat auch Haiders Nachfolger HC Strache verstanden. „Der Einzige, der eure Sprache spricht“, steht auf einem seiner Plakate im Wahlkampf 2015. Strache, der 2006 noch Slogans wie „Daham statt Islam“ auf seinen Plakaten präferierte, schlägt nun sanftere Töne an. Seit Strache die 15%-Marke mit der FPÖ überschritt, distanziert er sich schrittweise vom rechten Rand (Vgl. Petzner, S.145, 2015), jedoch ohne seine Unterstützer aus dem rechten Milieu vor den Kopf zu stoßen oder seine Authentizität zu gefährden. Mit Wachstumsprozessen einer rechtspopulistischen Partei geht grundsätzliche eine inhaltliche Transformation einher, um Wähler der Mitte zu gewinnen. Aus diesem Grund muss Strache gemäßigtere Töne anschlagen, um den Bürgerinnen und Bürgern Österreichs zu beweisen, dass er regierungsfähig ist.

Strache, dem viele Kritiker nicht den Erfolg eines Jörg Haiders zugetraut hätten, tritt in seinen Reden selbstbewusst und souverän auf. Auch wenn er vielleicht nicht der brillante Rhetoriker sein mag, schafft er es, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Vertrauen zu gewinnen. Der Wahlwerbespot "Österreicher verdienen Fairness" (URL.: https://youtu.be/eybiOECYPmU) zeigt Strache als Kümmerer, der das ausspricht, was die ausgewählten Personen sich nicht zu sagen trauen: „Auch wenn es manchmal schwer ist, zu sagen, was man denkt, gerade wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, müssen wir aufstehen und sagen: Das ist unfair! Und wenn es für euch schwer ist, mache ich es für euch!" (ebd.). Auch Strache versucht es ähnlich wie Haider, jedoch in einer ruhigeren Art und Weise, den angeblich nicht gehörten Ängsten und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger Gehör zu verschaffen und sich als Retter der Nation zu inszenieren.

Die Anti-Politiker

Wenn wir an charismatische Führer denken und uns Personen wie Jörg Haider oder HC Strache in den Sinn kommen, ist es naheliegend, dass wir mit politischem Charisma antidemokratische Tendenzen assoziieren.

Vertreter populistischer Parteien inszenieren sich gerne als Anti-Politiker, als „antipolitische Sprachrohre“ (Priester, 2012, S.2), die das sagen, was das Volk denke. Sie moralisieren die Politik, indem sie behaupten, dass das wahre Volk moralisch immer richtig liege, wer was anderes behauptet, ist demnach schlicht unmoralisch. So behauptete HC Strache 2008 im Nationalrat: „Sie haben Angst vor dem Volk, das Volk hat aber ein gutes Gespür für Recht und Unrecht. Und dort, wo Unrecht zu Recht wird, werde ich meine Stimme laut erheben und da wird Widerstand zur Pflicht“ (www.wienkonkret.at/politik/europa/verfassung/parlament/strache).

Strache behauptet dieser Aussage zufolge nicht nur, dass das Volk immer richtig liegt, sondern auch, dass er derjenige ist, der die Wahrheit für das Volk ausspricht. Dieser Alleinvertreteranspruch macht jegliche demokratische Auseinandersetzung obsolet. Jede demokratische Debatte ist durch ihre Ergebnisoffenheit gekennzeichnet, wenn aber schon von vorne herein eindeutig ist, was das Volk möchte, ist jede Debatte überflüssig. Da sie sich als alleinige Vertreter des Volkes fühlen, das anscheinend immer richtig liegt, sind sie gegen jegliche Kritik immun und entziehen sich demokratischer Debatten.

Politiker wie Haider oder Strache beziehen sich grundsätzlich wie alle Rechtspopulisten auf den common sense des Volkes. Der gesunde Menschenverstand sei dem der Eliten - oder mit Haiders Worten: dem der Bonzen - immer überlegen. Der charismatische Führer sei der Einzige, der den Gemeinwillen verfolge und als Repräsentant des Volkes diene, als Repräsentant des schweigenden Volkes. Der Begriff des Volkes wird von populistischen Politikern nie hinterfragt. Auch wenn das homogene Volk eine Fiktion ist, gehen sie von einem homogenen Volk aus, das eine bestimmte Meinung, nämlich ihre eigene, vertritt. Wer eine andere Ansicht vertritt, wird vom Volk ausgeschlossen.

Die mediale Inszenierung des charismatischen Führers

Max Weber ist davon ausgegangen, dass Charisma nicht erlernbar sei: „Heldentum und magische Fähigkeiten gelten nicht umsonst als nicht lehrbar“ (Encke, 2014, S.45). Konstruktivistische Autoren widersprechen ihm in diesem Punkt. Sie gehen davon aus, dass Charisma ein Effekt der Inszenierung sei (Vgl. ebd.). So glaubte man anfangs, dass Strache sich im Vergleich zu Haider nicht so gut vermarkten ließe, da er nur einen Bruchteil von Haiders Charisma besitzen würde. Doch Strache schaffte es, die Partei zur drittstärksten Kraft zu etablieren. Ist die Zuschreibung von Charisma vielleicht nur ein raffinierter politischer Schachzug?

Die Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölders (Schmölders, 2000, S.264) hat sich mit der Inszenierung Adolf Hitlers als charismatischen Führer auseinandergesetzt. Sie ist zum Schluss gekommen, dass diese Inszenierung von Anfang an intendiert war, von den Heinrich-Hoffmann-Fotografien bis zu den Filmen Leni Riefenstahls, es war ein Produkt der medialen Propaganda.

Populismus und Massenmedien bilden eine Symbiose: Populistische Politiker und Medien gehen eine gegenseitige Abhängigkeit ein. Das bedeutet, beide Seiten sind am Erfolg orientiert. Medien benötigen den kommerziellen Erfolg, Politiker wollen möglichst viele Wähler erreichen und Stimmen gewinnen. Medienproduzenten werden diejenigen Informationen auswählen, bei denen sie glauben, dass sie die größtmögliche Aufmerksamkeit erzielen werden. An Aufmerksamkeit sind auch Politiker interessiert.

Wenn Jörg Haider von der Endlösung der Ortstafelfrage sprach, war das für Medienproduzenten interessanter als eine emotionsfrei geführte politische Debatte. Emotionalisierung lässt sich gut verkaufen, das wissen Medienproduzenten wie rechtspopulistische Parteien. Doch lässt sich hier der Schluss ziehen, dass charismatische Politiker mit populistischen Politikern einhergehen?

Demokratisches und populistisches Charisma – ein Unterscheidungsversuch

Es ist wichtig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es einen Unterschied zwischen dem Charisma gibt, das sich die demokratisch positive „Wertverwirklichung im Dienste der Gesamtheit zum Ziel setzt“ (Encke, 2014, S. 58), und jenem Charisma, das sich populistische Politiker zu eigen machen, um ihre antipluralistischen und antielitären Ziele umzusetzen.

Wenn man beispielsweise Barack Obama mit Heinz Christian Strache vergleicht, wird man feststellen, dass beide über ein gewisses Charisma verfügen. Beide besitzen die Fähigkeit, Menschen zu begeistern und ihr Vertrauen zu gewinnen. Doch würden die wenigsten mit Obamas Charisma antipluralistische Tendenzen assoziieren und ihn mit einem Demagogen auf eine Ebene stellen. Bei Heinz Christian Strache liegt der Verdacht nahe, dass er seine rechtspopulistischen Ziele mithilfe seines medial inszenierten Charismas umsetzen möchte und nicht das Gemeinwohl als Ziel hat. Denn Rechtspopulisten handeln nie dem Volkswillen entsprechend als Ergebnis von demokratischen Prozessen, sondern sie handeln dem fiktiven wahren Volkswillen entsprechend, den angeblich nur sie kennen, als "wahre" Repräsentanten des Volkes.

Das unterscheidet demokratisches und populistisches Charisma. Beide Formen von Charisma haben sich den Volkswillen als Ziel gesetzt, jedoch liegt die Unterscheidung darin, dass der demokratische Volkswillen sich als Ergebnis von demokratischen Prozessen zeigt. Populistisches Charisma dagegen hat sich den fiktiven wahren Volkswillen als Ziel gesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass es ein homogenes Volk gibt, dass einen gemeinsamen Willen besitzt. Der populistische Führer wird seine Ausstrahlung dafür einsetzen, sich als wahrer Repräsentant dieses Volkes zu inszenieren.

Auch die Rhetorik unterscheidet sich bei demokratischen und populistischen Charismatikern. Demokratisches Charisma zeigt sich eher als positive Ansprache an die Menschen, populistisches Charisma zeigt sich dagegen häufig durch das Zeichnen eines apokalyptischen Bildes des Landes. Der populistische Charismatiker hat so den Vorteil, dass er sich als empathischer Retter der Nation in Szene setzen kann (Vgl. Müller, 2017, S.123), als Einziger, der die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nimmt.

Populistisches Charisma entzaubern

Die Aufgabe etablierter Parteien ist es, populistischen Charismatikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch wie sollten Politiker vorgehen? Zuerst sollten Politiker zwischen rechtspopulistischen Parteien und ihren Wählern unterscheiden. Eine Verurteilung eines rechtspopulistischen Politikers darf nicht zu einer Mitverurteilung seiner Wähler führen (Vgl. Petzner, 2015, S.148). Die etablierten Parteien müssen sich fragen, aus welchen Motiven heraus der Wähler seine Entscheidung getroffen hat. Politiker müssen das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen und dadurch mehr Transparenz schaffen.

Populistisches Charisma muss auf der sachpolitischen Ebene entzaubert werden. Große Versprechungen, wie beispielsweise die von Strache gewünschte Minus-Zuwanderung ist schlicht irreal. An diesen nicht umsetzbaren Lösungen müssen etablierte Parteien ansetzen (Vgl. ebd.).

Ein weit verbreiteter Irrtum ist es, dass etablierte Parteien glauben, durch das Übernehmen von rechtspopulistischen Themenbereichen mehr Wähler zu gewinnen. Doch dieses sogenannte Framing führt zu Stimmenverlust bei den etablierten und zu Stimmengewinn bei den rechtspopulistischen Parteien. Politische Parteien müssen wieder Profil zeigen, sie dürfen nicht zu einer politischen Einheit verschmelzen.

Politiker etablierter Parteien müssen versuchen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen. Doch das kann nur funktionieren, wenn man ihnen nicht mit einer moralischen Überlegenheit begegnet. Man muss den Sorgen und Ängsten der Bürgerinnen und Bürgern Gehör schenken und gleichzeitig Profil zeigen, wenn es um soziokulturelle Fragen geht.

Charismatische Politiker - bedrohlich oder erwünscht?

Charismatische Politiker unter einen Generalverdacht des Populismus zu stellen, ist nicht berechtigt. Man muss - wie beschrieben - zwischen demokratischem und populistischem Charisma unterscheiden. Auf der einen Seite ist es wichtig, rechtspopulistische Politiker wie Haider oder Strache kritisch zu beobachten, denn sie missbrauchen ihr Charisma, um Wählerstimmen zu gewinnen und um an die Macht zu kommen.

Auf der anderen Seite darf man nicht jedem charismatischen Politiker eine populistische Strategie des Machterwerbs unterstellen. Der Begriff des Populismus wird inflationär verwendet, nicht jeder charismatische Politiker, der die etablierten Parteien kritisiert, ist ein Populist. Denn wie der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller (Müller, 2017, S.116) feststellt, „beraubt sich die Demokratie ihres eigenen Lernstoffs, wenn grundlegende Kritik immer gleich als populistisch gilt.“

Die Demokratie braucht Politiker, die mit Leidenschaft und Visionen für ihre Ziele kämpfen. Ein Grund, der zum Erstarken rechtspopulistischer Parteien geführt hat, war die lähmende Alternativlosigkeit der etablierten Parteien. Doch die Demokratie besteht in ihrem Grundkern aus politischen Debatten, die durch ihre Ergebnisoffenheit gekennzeichnet sind. Politische Debatten können aber nur dann geführt werden, wenn die Menschen von ihrem Partizipationsrecht Gebrauch machen. Charismatische Politiker können den Anstoß geben, Menschen zu motivieren, sich aktiv an demokratischen Prozessen zu beteiligen.

Aus diesem Grund bin ich davon überzeugt, dass die Demokratie sich vor charismatischen Politikern nicht fürchten muss. Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und behaupten, dass Demokratie charismatische Politiker braucht, die es schaffen, Politik wieder attraktiv zu machen und Menschen zu motivieren, selbst politisch aktiv zu werden. Denn was wäre ein Staat ohne Partizipation seiner Bürgerinnen und Bürger? Sicher keine Demokratie.

Literatur

Diehl, Paula: Populismus und Massenmedien, 2012, online unter URL: http://www.bpb.de/apuz/75854/populismus-und-massenmedien

Encke, Julia: Charisma und Politik, München, 2014

Hillebrand, Ernst: Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie? Bonn, 2015

Müller, Jan-Werner: Fake Volk? Über Wahrheit und Lüge im populistischen Sinne, in: Nassehi, Hamburg, 2017

Petzner, Stefan: Haiders Schatten. An der Seite von Europas erfolgreichsten Rechtspopulisten, Wien, 2015

Priester, Karin: Wesensmerkmale des Populismus, 2012, online unter URL: http://www.bpb.de/apuz/75848/wesenmerkmale-des-populismus

Scharsach, Hans-Henning: Strache. Im braunen Sumpf, Wien, 2012

Schmölders, Claudia: Hitlers Gesicht. Eine physiognomische Biographie, München, 2000

Sobainsky, Julia: Charisma: Wie Sie mit Ihrer Ausstrahlung glücklich und erfolgreich werden, Allschwil, 2011

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