Samstag, 18. März 2017

Rechtspopulismus im Unterricht und Beutelsbacher Konsens

Indoktrinationsverbot und Kontroversitätsgebot - diese Begriffe kennen die meisten LehramtsanwärterInnen des Faches Politikwissenschaft wohl auswendig. Ohne Frage sind es auch besonders wichtige Aspekte, die im Beutelsbacher Konsens, der im Herbst vergangen Jahres sein 40-jähriges Jubiläum feierte, geschrieben stehen. Die Aufgabe der Lehrkräfte soll es sein, den Blick des Schülers auf möglichst viele unterschiedliche Ansichten und Alternativen zu richten. Doch wie verhält sich das z.B. in Bezug auf die „Alternative für Deutschland“? Wie äußert man sich als Lehrkraft gegenüber populistischen Standpunkten?

Daraus ergibt sich die Frage, wie man dem Beutelsbacher Konsens überhaupt gerecht werden kann, wenn man sich im Unterricht auch schwierigen Themen wie der AfD oder anderen extremen Positionen widmet. Oder ist der Beutelsbacher Konsens sogar die Grundlage dafür, sich auch klar gegen populistische und extreme Parteien zu äußern und den SchülerInnen die eigene Meinung mitzuteilen?

Im Folgenden beleuchte ich die Thematik rund um die Schwierigkeit des Themas Populismus im Unterricht mit Blick auf den Beutelsbacher Konsens, wobei ich auch einen Bezug zur AfD herstelle. Dabei werde ich mich auf den rechten Populismus beschränken und auch kurz den Rechtsextremismus ansprechen.

Wurden wir dem Beutelsbacher Konsens im Seminar gerecht?

Die Idee für diesen Beitrag kam mir während meines eigenen Referats über die AfD in diesem Seminar. Sowohl ich als auch meine zwei Kommilitoninnen machten kein Geheimnis daraus, wie wir zu dieser Partei stehen und berichteten über diese durchgehend mit einem bestimmten Unterton, der verdeutlichte, dass wir nicht viel von den Ansichten der AfD halten und diese nicht unterstützen können. Gleichzeitig nahmen wir auch an, dass alle Anwesenden im Raum unsere Meinung teilen.

Auch während den folgenden Referaten wurde deutlich, dass wir als Seminargruppe die Auffassungen der rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa nicht teilen. Aber war unsere Haltung zu der Thematik angemessen? Schließlich kann es ja durchaus sein, dass auch unter uns einzelne BefürworterInnen der AfD und ähnlicher Parteien sitzen, und voraussichtlich wird das auch später in unseren Klassen der Fall sein.

Nehmen wir einmal an, dass unser Seminar keine Veranstaltung für PolitikstudentInnen gewesen wäre, welche wohl mehr oder weniger in ihrer Meinung schon gefestigt sein sollten, sondern der Unterricht in einer 10. Klasse. Hätten wir dann genauso wertend über die Absichten der populistischen Parteien gesprochen oder würden wir damit nicht schon gegen den ersten Punkt des Beutelsbacher Konsenses verstoßen?

ÜBERWÄLTIGUNGSVERBOT
„Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers“ (Wehling 1977, S. 179f).

Überwältigungsverbot = Neutralitätsgebot?

Fälschlicherweise wird der erste Punkt des Beutelsbacher Konsenses immer wieder als Neutralitätsgebot gelesen, also als Hinweis für die Lehrkraft, den SchülerInnen nicht die eigene Meinung mitzuteilen. Jedoch steht das so nicht in diesem Absatz. Die eigene Meinung dürfe nur nicht als alleingültig angepriesen werden. Bei den Lernenden darf nicht der Eindruck entstehen, dass sie einen Nachteil davon haben, wenn sie nicht die Meinung der Lehrkraft teilen (vgl. Hoffmann 2016, S. 203).

Es kann durchaus angebracht sein, der Klasse die eigene Meinung mitzuteilen, da sich diese gelegentlich auch wünscht, Positionen der Lehrenden zu erfahren, und zu verstehen, warum diese bestimmte Standpunkte vertreten. Auch daran können sich dann Schülermeinungen wieder reiben und eine Diskussion kann entstehen. Meiner Meinung nach ist es besonders wichtig hervorzuheben, dass der oder die Lehrende auch nicht den Eindruck erwecken sollte, neutral zu sein und damit schlussendlich das eigene politische Engagement verschleiert. Das Überwältigungsverbot ist keine Rechtfertigung für die Meinungslosigkeit der unterrichtenden Person. Gleichwohl muss es aber immer im Ermessen der Lehrkraft liegen, wann und in welchem Umfang der Klasse die eigene Meinung mitgeteilt wird.

Die Lehrkraft nimmt eine wichtige Vorbildfunktion ein, indem sie Position bezieht (vgl. Hoffmann 2016, S. 203). Wichtig ist aber, dass der eigene Standpunkt mit Argumenten begründet wird und den SchülerInnen die Möglichkeit zum Widersprechen gelassen und dazu auch angeregt wird. „Dies trägt maßgeblich zu einer Wahrung des Indoktrinationsverbotes und des Kontroversitätsgebotes bei“ (Hoffmann 2016, S. 203). 

Also darf man sich auch klar gegen die Ansichten von populistischen Parteien äußern. Sofern sich die Lehrkraft nun gegen die AfD äußert, kann sie ihren Standpunkt zum Beispiel mit deren teils menschenverachtenden Äußerungen gegenüber Minderheiten begründen. 

Die Prinzipien der Demokratie

Während die eigene Meinung nicht zwingend geäußert werden muss, gehört es allerdings zu der Aufgabe der LehrerInnen gemäß den Prinzipien der Demokratie zu lehren. „Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen dürfen sich nicht nur kritisch zu menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Positionen verhalten, sie müssen dies laut Amtseid sogar tun“ (Oberle 2016, S. 255). Frau Oberle bezieht sich mit ihrer Aussage auf den Diensteid, den eine Lehrkraft zum Amtseintritt leisten muss. Dieser ist für Baden-Württemberg hier nachzulesen.

Der erste Abschnitt des Beutelsbacher Konsenses hebt hervor, dass wir von „der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft“ (Wehling 1977, S. 179f.) reden und zu den Prinzipien einer Demokratie gehört auch die Pluralität und die Würde des Menschen. Sofern sich eine Partei gegen diese Prinzipien äußert, übertritt sie damit eine Grenze und das darf und muss die Lehrkraft so auch kommunizieren. 

Wann wird eine Grenze überschritten?

Doch wer entscheidet, wo genau die Grenze verläuft? Ist es das Grundgesetz? Doch auch über einzelne Punkte des Grundgesetzes kann und sollte kontrovers diskutiert werden, wie z.B. über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft. Daher wird als Grenze die freiheitliche demokratische Grundordnung betrachtet und „entsprechend sind menschenverachtende Ansichten und extremistische politische Positionen nicht im Zielbereich politischer Bildung“ (Oberle, 2016, S. 255).

Auch Ansgar Drücker hebt die Bedeutung von Personen hervor, die in der Lage sind, ihren eigenen nichtdiskriminierenden Standpunkt gegenüber rechtspopulistischen Personen deutlich zu machen und
„menschenverachtende Positionierungen klar als solche zu benennen und zurückzuweisen. Das ist dann keine Überwältigung, sondern Einsatz für die Demokratie“ (Drücker 2016, S. 130).
Denn die Problematik mit dem Populismus ist, dass er sich besonders einfacher Lösungen bedient und dabei nicht darauf aus ist, mit Fakten zu überzeugen. Doch besonders gegen diese Argumentationsstruktur kann es schwierig sein, in öffentlichen Diskussionen anzukommen. Man argumentiert auf einer anderen Ebene, mit Expertenwissen; dadurch erreicht man kein ebenbürdiges Gespräch und es ist nicht möglich, gezielt auf die geäußerten Annahmen zu reagieren.

Wie ist es nun, wenn die Lernenden sich demokratiefeindlich äußern? 

Kann man dann deren Ansichten mit dem Verweis auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung zurückweisen? Nein! „Auch noch so undemokratische Ansichten müssen geäußert werden dürfen, um sie überhaupt bearbeitbar zu machen“ (May 2016, S. 239). Würde man die Meinung grundsätzlich nicht zulassen, dann würde man diesen SchülerInnen die Teilnahme am Diskurs verweigern und damit auch wieder das Kontroversitätsgebot missachten.

Daher gilt: Auch wenn es nicht-kontroverse Aspekte wie z.B. die Würde des Menschen gibt, so müssen auch kritische Thematiken im Unterricht Beachtung finden und nicht nur als schlicht demokratiefeindlich abgetan werden. Der dadurch entstehende Diskurs soll die Demokratie für die SchülerInnen im Unterricht erfahrbar machen, anstatt deren Bemühen, sich am Unterricht zu beteiligen, im Keim zu ersticken. Im weiteren Verlauf meiner Ausarbeitung werde ich mich darauf noch einmal beziehen.

KONTROVERSITÄTSGEBOT
„Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte […]“ (Wehling 1977, S. 179f.).
Mit diesen Sätzen sollte man meinen, dass die Frage schon beantwortet sei, ob populistische Positionen im Unterricht thematisiert werden sollten. Wie die Grenze zwischen Kontroversem und Nicht-Kontroversem gezogen wird, muss aber ebenfalls kontrovers diskutiert werden. Es scheint ein Diskussionsbedarf ohne Ende zu sein. Feststellen kann man jedenfalls, dass zu den Kontroversen in Wissenschaft und Politik eindeutig populistische Standpunkte gehören und eben auch besonders das Programm der AfD.

Schauen wir uns die gegenwärtigen Ergebnisse der Sonntagsfrage an, wird deutlich, dass die Thematisierung der Partei und ihrer Standpunkte nicht unter den Tisch fallen darf. Immerhin würden, wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, laut Forsa-Umfrage 9% im Land die AfD wählen und laut Infratest dimap sogar 11% (Stand 15.03.2017). Damit überschreitet die AfD die 5%-Hürde und würde im Bundestag vertreten sein. Besonders vor dem Hintergrund, dass im nächsten Herbst die Bundestagswahlen stattfinden und in den Oberstufen der Schulen potentielle ErstwählerInnen sitzen, gehört die Thematisierung der verschiedenen Parteien unbedingt zum Unterrichtsinhalt.

Bewusst für eine offene und kontroverse Gestaltung entscheiden

Gudrun Heinrich weist darauf hin, dass auch vor dem Hintergrund des Misstrauens gegen die Demokratie und der Medien eine bewusste Entscheidung für eine besonders offene und kontroverse Gestaltung von politischer Bildung getroffen werden soll. Daher sollen auch Tabuthemen gezielt in den Unterricht zur Diskussion integriert werden (vgl. Heinrich 2016, S. 182).

Die grundsätzliche Missachtung der für den Rechtspopulismus relevanten Themen würde sich wohl eher kontraproduktiv auswirken. Das wäre eine weitere Bestätigung für jene, die sich sowieso schon mangelhaft repräsentiert und in ihrer Meinung nicht beachtet fühlen, da man ihnen in der Öffentlichkeit kein Gehör verschaffe. Die politische Bildung soll dem Vertrauensverlust in die Demokratie entgegenwirken und ermöglichen auch dann seine Meinung zu artikulieren, wenn diese nicht "politisch korrekt" ist. Wenn man nur die etablierten Meinungen widerzuspiegelt, würde man den Populisten in die Hände spielen.

Sollen populistische oder gar extremistische Positionen gleichberechtigt neben anderen Argumenten stehen?

Auch hier kann man sich wieder auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung beziehen. Es ist im Unterrichtsdiskurs darauf zu achten, dass nicht alle Positionen als legitim dargestellt werden. Die Tatsache, dass man sich auch mit demokratiekritischen und schwierigen Positionen auseinandersetzt, bedeutet nicht, dass diesen dadurch zugestimmt wird.

Entscheidet man sich dafür, die Grenze des Kontroversen besonders weit auszudehnen und auch menschenabwertende Positionen mit in den Unterricht zu holen, dann muss darauf geachtet werden, dass diese „Meinungen […] nicht gleichberechtigt neben anderen stehen“ (Pohl 2015) dürfen. Auch Siegfried Schiele, der im Jahr 1976 zur Konferenz nach Beutelsbach eingeladen hatte, betont, dass Positionen gegen den Kern der Verfassung gemäß den „Kontroverserven nach Beutelsbach nicht gleichwertig neben anderen Positionen stehen“ (Schiele 2016, S. 72).

Mündigkeit als Ziel politischer Bildung

„Das Prinzip der Kontroversität unterstreicht, dass politische Bildung sich am Primat des Subjekts und nicht am Primat der Politik orientiert“ (Henkenborg 2016, S. 188). Im Gegensatz zu früher ist die politische Bildung nicht mehr zur Herrschaftslegitimation gedacht. Ihr Ziel ist die Mündigkeit des Schülers. Durch die Förderung der Analyse-, Urteils- und Handlungsfähigkeit sollen die Lernenden zur politischen Mündigkeit befähigt werden. „Das geschieht durch die Anerkennung von Konflikt, Differenz, Multiperspektivität und Pluralismus“ (Henkenborg 2016, S. 188).

Sollte daher nicht auch die Auseinandersetzung mit populistischen Ansichten in den Unterricht geholt und als Reflexionsgrundlage herangezogen werden? Die Auseinandersetzung mit dieser schweren Thematik kann die Fähigkeiten der SchülerInnen im Konflikt stärken. So können sich im Unterricht Meinungslose, überzeugte Grüne, Rote, Schwarze, aber auch Blaue und schließlich auch Braune gegenüberstehen. Der Austausch kann für alle eine gewinnbringende Erfahrung sein.

Er ermöglicht das Erlernen von Artikulations- und Überzeugungsfertigkeiten und die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen die eigene Meinung vertreten zu können. Die Komplexität von demokratischen Prozessen wird erfahrbar. Jedoch nur, wenn das Gespräch respektvoll geführt und keiner dabei persönlich angegriffen wird.

Die Lehrkraft sollte aufmerksam die Stimmung bei schwierigen Thematiken beobachten und bei Bedarf einschreiten, bevor es eskaliert. Außerdem gibt es die Gefahr, dass sich unsichere SchülerInnen von demokratiefeindlichen Meinungen überzeugen lassen. Auch deshalb ist die erhöhte Aufmerksamkeit der lehrenden Person gefragt, damit diese in den Diskurs eingreifen kann.

Korrekturfunktion der Lehrkraft

Die Lehrkraft soll zum politischen Lernen anregen, und das wird im Handeln mit Fremden (vgl. Henkenborg 2016, S.192) ermöglicht. Sofern in der Politikstunde die Vertretung einer rechten Position fehlt, ist eine Anregung zum Perspektivenwechsel in der Klasse über ein Rollenspiel möglich. Ebenfalls kann die Lehrkraft eine kritische Meinung in den Diskurs mit einspeisen und so diese Konfrontation begünstigen.

Dabei geht es aber nicht um die Legitimation dieser Perspektive. Durch die didaktische Inszenierung sollen die SchülerInnen zum Nachdenken angeregt werden. Aufgrund des sozialen Umfeldes und der eigenen Position kann die bisherige Auseinandersetzung mit gegensätzlichen und z.B. auch rechten Standpunkten ausgeblieben sein.

Doch im Unterricht soll die Kultur des Dissens erfahrbar gemacht werden und die SchülerInnen zur Deutung, Analyse und schließlich auch zum Handeln befähigt werden. Auf diese Weise sollen sie auch lernen im Diskurs gegen rechtes Gedankengut einstehen zu können. Damit komme ich schon zum dritten und letzten Punkt des Beutelsbacher Konsenses, der Handlungsfähigkeit und Schülerorientierung.

HANDLUNGSFÄHIGKEIT UND SCHÜLERORIENTIERUNG
„Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenslage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein […]“ (Wehling 1977, S. 179f.).
 Handlungsfähigkeit

Um die Lernenden in die angestrebte Lage versetzen zu können, müssen „unbedingt Fakten neben Behauptungen und Pauschalisierungen treten“ (Drücker 2016, S. 126). Denn gerade dem Populismus, der häufig sehr emotional argumentiert, fehlen oftmals die Fakten, um seine Behauptungen zu begründen. Aus diesem Grund muss man dagegen im Unterricht mit Fakten antreten. Dadurch werden die SchülerInnen zur Analyse befähigt, auf deren Grundlage ein Urteil gefällt werden kann.

Das ist keine Stimmungsmache gegen Parteien wie die AfD, sondern schlicht und ergreifend die Aufgabe politischer BildnerInnen. Verbunden damit kann für die Lernenden der Wert von Fakten im Gegensatz zu Vorurteilen thematisiert werden. Wer seine Meinung gut begründen kann, kann mit dieser auch überzeugen. Das sollte als Lernerfahrung angestrebt werden.

Mit der Äußerung von Meinungen auf der Grundlage einer guten Analyse und Urteilsfähigkeit können die SchülerInnen an die Handlungsfähigkeit herangeführt werden. In Bezug auf den Populismus kann das bedeuten, dass SchülerInnen im Unterricht, aber auch darüber hinaus, für die Werte der liberalen Demokratie einstehen, sich gegen menschenfeindliche Äußerungen stellen und ihre eigene Position zu vertreten wissen.

Schülerorientierung

Auch das eigene Interesse der Lernenden wird in diesem dritten Aspekt des Beutelsbacher Konsenses betont. Um Lernzuwächse zu erreichen, muss man auf die Ausgangslage der Schülerschaft achten und darauf eingehen. Die Ausrichtung an Schülerinteressen dient als Orientierung für den Politikunterricht. Daher kann man der Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen sowie extremen Positionen nicht aus dem Weg gehen, wenn diese von Seiten der SchülerInnen artikuliert werden. 

Besonders treffend beschreibt Michael May meiner Ansicht nach die Spannung zwischen dem, was wir vertreten wollen, und den Interessen der SchülerInnen, die wir berücksichtigen müssen:
„Was in der Unterrichtsplanung noch angemessen erscheint, stellt sich in der Unterrichtssituation als wenig hilfreich heraus“ (May 2016 S. 239).
Während auf der einen Seite die freiheitlich-demokratische Grundordnung rechtfertigt, dass wir uns gegen demokratiefeindliche Haltungen äußern, so legitimiert der Beutelsbacher Konsens auf der anderen Seite auch, dass die SchülerInnen diese Haltung im Unterricht äußern und vertreten dürfen - und dann darf sie nicht einfach als illegitim abgetan werden.

Das verdeutlicht die Unschärfe des Beutelsbacher Konsenses. Er kann in unterschiedlicher Weise ausgelegt und angewendet werden, da er offengehalten ist und daher viel Raum für Interpretationen lässt. So kann er gleichzeitig als Grundlage für ein Argument und auch dessen Gegenargument herangezogen werden. Beispielhaft hierfür ist auch der Streit, der in Sachsen entstanden ist, weil die Landeszentrale der PEGIDA-Bewegung Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. BefürworterInnen und GegnerInnen argumentierten mit dem Überwältigungsverbot und Kontroversitätsgebot. Die Welt berichtete. 

Wie reagieren auf SchülerInnen, die populistisch argumentieren?

Im Rahmen der „geschützten Halböffentlichkeit des Klassenzimmers“ (Grammes 2016, S. 160) bedarf es anderer Wege, um auf rechte Ansichten zu reagieren, als im öffentlichen Raum. Gefährlich wäre eine moralisierende Belehrung als Reaktion auf die demokratiefeindliche Haltung von SchülerInnen. Denn diese kann genau das Gegenteil bewirken.

Fehlendes Verständnis für die eigene Meinung kann zu Abschottung führen und den in dieser Situation so wichtigen Austausch und damit den Lernprozess verhindern (vgl. Heinrich 2016, S. 182). Des Weiteren führt eine Belehrung der SchülerInnen möglicherweise dazu, dass jene die Kritik gegenüber dem eigenen politischen Standpunkt als Abwertung der eigenen Person sehen (vgl. May 2016, S. 239). Grammes plädiert für „die Doppelstrategie von Faktenklärung auf der Sachebene bei gleichzeitiger unbedingter Anerkennung als Person im gleichberechtigten Diskurs“ (Grammes 2016, S. 160).

Im Falle von extremistischen Äußerungen sollen die Lehrenden verständlich machen, „dass sie die jungen Menschen ernst nehmen und respektieren, aber deren Meinung nicht teilen“ (Schiele 2016, S. 72). Sigfried Schiele merkt jedoch an, dass im Falle von populistischen Standpunkten eine Handlungsentscheidung schwieriger ist, da diese teilweise mit extremistischen Ansichten zusammenfallen (vgl. Schiele 2016, S. 72). 

Rechtspopulismus als Brücke zum Extremismus

Der Rechtspopulismus hat einen ambivalenten Standpunkt. Er stellt Verbindungen zu verschiedenen Ausrichtungen in der Politik her und baut damit Brücken. Einerseits bedient er mit erniedrigenden Äußerungen gegenüber Minderheiten einen Bereich, der eng mit dem Rechtsextremismus verbunden ist, und durch “das verbreitete Misstrauen gegenüber politischen Prozessen und gegenüber den etablierten Medien insgesamt wird andererseits eine Verbindung zu einer breiteren politikskeptischen bzw. politikverdrossenen Klientel gesucht“ (Heinrich 2016, S. 180).

Das Misstrauen von einzelnen Personen ist per se keine Gefahr für die Demokratie, sondern kann auch in gewissem Maße als Korrekturfunktion dienen. Jedoch ist es ein Problem, wenn das Misstrauen verbreitet ist und durch Phänomene wie den Populismus gebündelt wird und gleichzeitig in Verbindung mit demokratiegefährdenden Ansichten kommt.

Besonders auf den zweiten Aspekt kann man jedoch im Unterricht reagieren, indem man politische Prozesse erfahrbar macht und bei den Lernenden ein Verständnis für diese anbahnt und auch verdeutlicht, wie schwer es für PolitikerInnen ist, einen Konsens zu finden, und dass im Umkehrschluss dann auch die Wahlversprechen nicht von allen eingehalten werden können. Von positiven Erfahrungen in diesem Zusammenhang berichtet die Zeit.

Auch die Bundeszentrale für politische Bildung weist auf die Handlungs- und Erfahrungsebene als pädagogische Strategie gegen den Rechtsextremismus hin. Es gilt, über die kognitive Ebene im Unterricht hinauszugehen und auch das Handeln zu erproben, um die SchülerInnen im Sinne des dritten Punktes des Beutelsbacher Konsenses zu befähigen, für die eigenen Interessen einzustehen. Gleichzeitig kann damit aber auch Verständnis für demokratische Prozesse aufgebaut und auch die eigene feindliche Haltung gegenüber der Politik hinterfragt werden.

Gudrun Heinrich plädiert im Sinne der Prävention dafür, die Kontroversen von rechtsextremen und rechtspopulistischen Vertretern in den Unterricht aufzunehmen und kritisch zu hinterfragen (vgl. Heinrich 2016, S. 184) sowie „menschenverachtende Positionen als antidemokratisch zu entlarven, um eine Verharmlosung zu verhindern“ (Heinrich 2016, S. 185).

Anregungen für den Umgang mit Rechtsextremismus im Unterricht bietet unter anderem eine interessante Seite von Michael May und Andreas Dietz. 

Erweiterung des Beutelsbacher Konsenses um einen vierten Punkt?

Während meiner Ausarbeitung ist die Bedeutung der Rückbesinnung auf die Demokratie und ihrer Werte im Umgang mit dem Rechtspopulismus/ -extremismus immer wieder deutlich geworden. Daher möchte ich noch auf die Anregung von Wolfgang Sander aufmerksam machen, der ein weiteres Prinzip für den Beutelsbacher Konsens vorschlägt.
„Politische Bildung versteht sich als Teil einer demokratischen politischen Kultur. Sie will mit pädagogischen Mitteln an der Erhaltung und Weiterentwicklung der Demokratie mitwirken“ (Sander 1995, S. 217).
Für die Schule bedeutet das, dass die Demokratie und deren Funktion sowie deren Wert und ihr Inhalt über pädagogische Mittel für die Lernenden erfahrbar werden und jene diese erkennen und unterstützen (vgl. Henkenborg 2016, S. 190).

Dadurch könnte präventiv gegen die Zunahme von rechtsextremistischer Orientierung vorgegangen werden. In einem Artikel der Zeit zum Thema „Schule gegen Populismus“ merkt Oberle an, dass
„die politische Bildung […] nicht immer nur die Feuerwehr spielen [solle], wenn etwa gerade alle besorgt auf die Wahlerfolge von Populisten oder auf Terroranschläge starren. Demokratische Werte und ein Verständnis für unsere Verfassungsprinzipien müssen von Grund auf aufgebaut werden“ (Zeit Online, 2.2.2017).

Fazit

Nicht nur die politischen BildnerInnen wissen um den Beutelsbacher Konsens und die Verpflichtung der Schule zur Neutralität. So legte in Hamburg die AfD sogar Beschwerde beim Schulministerium bezüglich einer Geschichtsstunde ein, in der die AfD mit rechtsextremen Strömungen der Vergangenheit verglichen wurde (vgl. RP Online, 26.6.2015). 

Die Lehrenden sind in Bezug auf ihren Unterricht und der Vermittlung der Inhalte immer wieder dem Zwang zur Rechtfertigung ausgesetzt. So ist es wichtig, Vorwürfe der Indoktrination abzuwenden, indem man das eigene Vorgehen gut begründet. Eine Grundlage dafür bietet auf jeden Fall der Beutelsbacher Konsens und dessen Möglichkeit, sich auf das Indoktrinationsverbot, die demokratischen Prinzipien, das Kontroversitätsgebot und die Schülerorientierung zu beziehen.

Alternativen müssen aufgegriffen, aber kritisch hinterfragt werden. Dabei gilt es immer die Persönlichkeit der SchülerInnen zu achten, aber auch die Werte unserer Demokratie zu bewahren.

Literatur
  • Drücker, Ansgar (2016): Der Beutelsbacher Konsens und die politische Bildung in der schwierigen Abgrenzung zum Rechtspopulismus, in: Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 123-130
  • Grammes, Tilman (2016): Ein pädagogischer Professionsstandard der politischen Bildung. Fachdidaktisches Denken mit dem Beutelsbacher Konsens, in: Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 155-165
  • Heinrich, Gudrun (2016): Politische Bildung gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Welche Bedeutung hat der Beutelsbacher Konsens? In: Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 179-186
  • Henkenborg, Peter (2016): Eine Kultur des Dissens. Über den pädagogischen Sinn des Beutelsbacher Konsens für die politische Bildung, in: Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 187-196
  • Hoffmann, Astrid (2016): Plädoyer für politisch nicht-neutrale Lehrende und die Förderung realen politischen Handelns. „Heppenheimer Intervention“, in: Widmaier, Benedikt / Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 197-206
  • May, Michael (2016): Die unscharfen Grenzen des Kontroversitätsgebots und des Überwältigungsverbots, in: Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 233-241
  • Oberle, Monika (2016): Der Beutelsbacher Konsens: eine kritische Würdigung, in: Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 251-259
  • Sander, Wolfgang (1995): Rechtsextremismus als pädagogische Herausforderung für Schule und politische Bildung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Verantwortung in einer unübersichtlichen Welt. Aufgaben wertorientierter politischer Bildung, Bonn, S. 215-226
  • Schiele, Siegfried (2016): Der Beutelsbacher Konsens ist keine Modeerscheinung! Zu seiner historischen Genese und gegenwärtigen Aktualität, in: Widmaier, Benedikt / Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bonn, S. 68-77
  • Wehling, Hans-Georg (1977): Beutelsbacher Konsens, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart, S. 179/180
Internetquellen

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